Ausflüge in eine Achtsame Wirtschaft: Rechtes Maß

von Kai Romhardt

„Darf es auch etwas weniger sein?“ In meinem ganzen Leben hat mir m.E. noch nie jemand diese interessante Frage gestellt. In meinen Kindheitserinnerungen taucht immer wieder die Frau hinter der Käsetheke auf. „117?“.  „131?“. Oder gar: „147?“. Dabei hatte ich doch „nur“ 100 Gramm bestellt. 

Flatrates, „All-you-can-eat“-Angebote, „2 for 1“ - Das MEHR ist in unserer Kultur dominant und dringt mal offen und aggressiv, mal leise und subtil in unseren Geist ein. Sind wir unglücklich, irritiert oder unzufrieden? Das richtige MEHR wird es richten. So wird es versprochen. So versprechen wir es uns selbst. Mehr Erfolg, mehr Quadratmeter, mehr Projekte, mehr Bücher, mehr Retreats, mehr Reisen... Unsere Wirtschaft ist im Kern eine Mangelökonomie. Sie betont das, was uns (scheinbar) fehlt.  Wir werden permanent aufgefordert mehr zu haben, mehr zu sein, mehr zu kaufen, mehr zu erleben, mehr zu wissen...  Und wir haben diese falschen Glücksversprechen mehr verinnerlicht als wir uns zugestehen. Wie finden wir unseren persönlichen Maßstab, wenn unsere Umgebung ihn uns nicht schenkt? Wir befreien wir uns vom inneren Antreiber des „Es ist nie genug“?.

Im Buddhismus sprechen wir viel über das Rechte Maß oder den Mittleren Weg. Weder zu viel  - noch zu wenig. Weder Völlerei noch Askese. Eins ist sicher, das Rechte Maß kommt nur in seltenen Fällen von außen. Wir müssen es für uns selber finden. Es ist der Zustand, in dem wir wissen, dass es genug ist, der Zustand, in dem wesentliche Bedürfnisse gestillt sind.

Nehmen wir das Essen. Die meisten von uns essen zu viel und zu schnell und zu wenig bewusst. Hier macht Achtsamkeit einen großen Unterschied. Wenn wir uns in Essmeditation, essen wir in Stille, legen den Löffel nach jedem Bissen zur Seite und konzentrieren uns auf den Kauvorgang und das Geschmackerlebnis. Wir bleiben beim Atem und achten darauf, wann unser Körper uns signalisiert, dass es GENUG ist. Und das tut er. Unser Körper kennt das rechte Maß, doch wir hören nicht hin.

Es macht keinen Sinn sich daran zu orientieren, wie viel andere essen. Äußere Maße könne uns in die Irre führen. Ein Experiment hat gezeigt, dass wir umso mehr essen, umso größer die Schüssel ist, aus der wir essen. Wer eine größere Schüssel erhält als andere Testpersonen aß mehr als ein Viertel mehr als die Personen mit kleineren Schüsseln.

Beim rechten Maß hilft uns der Vergleich nicht weiter. Das Gegenteil ist der Fall. Das permanente Vergleichen in unserer Kultur, an unseren Arbeitsplätzen, Familien und Nachbarschaften, heizt die Maßlosigkeit an, weil es uns von unserem unmittelbaren Erleben wegführt.

Indem wir unser Denken beruhigen, finden wir zu unserem inneren Maßstab zurück. Indem wir die inneren und äußeren Schätze des gegenwärtigen Augenblicks berühren, verlassen wir die Welt des Mangels. Indem wir unser Wollen zähmen, betreten wir die Welt der Fülle.  Doch das ist nicht einfach und für viele von uns ein langer Prozess in dem wir uns mit Güte und Humor begleiten sollten.

Wenn wir auf etwas Liebgewonnenes verzichten bevor die Zeit und die Einsichten reif sind, können Stolz und Ärger (auf die weiterhin Konsumierenden) in unser Herz einziehen. Diese Trennung ist weder für uns noch für unser Umfeld gut. Konsumkritiker, die den Mainstream verachten und sich moralisch überlegen fühlen, säen keine Samen der Einsicht, sondern erzeugen Widerstand.

Im NAW haben wir gerade einige Videos mit Meister Yoda- dem Zen-Meister der Star Wars Saga – produziert. Episode I trägt den Titel: „Das Rechte Maß“. Überlassen wir Yoda das Schlusswort:

 

„So viele Dinge du besitzt und doch immer etwas fehlt.

Das Einfache genießen lernen du musst.

Dann Freude dich begleiten wird.“

 



 


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