Achtsames Wirtschaften: Ein frischer Blick auf scheinbare Normalitäten des ökonomischen Handelns und Denkens

von Kai Romhardt

Achtsames Wirtschaften wird zum Thema in der Betriebswirtschaft

Achtsames Wirtschaften: Ein frischer Blick auf scheinbare Normalitäten des ökonomischen Handelns und Denkens

 

Von Dr. Kai Romhardt

Im folgenden werden zentrale Einsichten achtsamen Wirtschaftens vorgestellt, die ihre Inspiration aus der buddhistischen Weisheitslehre und Meditationspraxis beziehen[1]. Der Artikel versteht sich als Einladung an alle wirtschaftlich aktiven Menschen, die nach neuen Ansätzen für unser ökonomisches System als Ganzes und unser ökonomisches Denken und Handeln im Speziellen suchen. Er basiert auf meiner zehnjährigen Forschungs-, Lehr- und Beratungstätigkeit im Themenfeld[2] und den Erfahrungen von Hunderten von Achtsamkeitspraktizierenden im Netzwerk Achtsame Wirtschaft[3] sowie von Unternehmen und anderen Organisationen. Es werden universelle Erkenntnisse vorgestellt, die allen Menschen offen stehen, die sich in Meditation und Achtsamkeit üben und wirtschaftliche Prozesse mit frischen Augen betrachtet.

Achtsamkeit ist ein durch Meditation trainierbarer Geisteszustand, der alle unsere geistigen und körperlichen Handlungen erhellt[4]. Ist unsere Achtsamkeit stark, sehen wir die Dinge klarer und weniger verzerrt. Wir sehen, welche Auswirkungen unsere Handlungen auf uns selbst und andere haben. Immer mehr Unternehmen nutzen Achtsamkeitsmeditation in ihren Führungstrainings[5].

Es sei darauf hingewiesen, dass dieser Artikel einen unmittelbaren Zugang zum Thema „Wirtschaft“ anbietet, die sich nicht allein durch intellektuelle Beschäftigung mit den vorgestellten Ansätzen erschließen wird, sondern durch persönliche Erfahrung. Achtsamkeit ist kein Konzept, sondern ein trainierbarer Geisteszustand. Um die Korrektheit der hier vorgestellten Ansätze in der Tiefe zu überprüfen, braucht es daher die Bereitschaft, sich selbst in Achtsamkeit zu üben, was immer mehr Akteure des Wirtschaftslebens und der Gesamtgesellschaft auch bereits tun. Das Forschungs- und Erfahrungsfeld des „Achtsamen Wirtschaftens“ ist noch recht jung ist und seine empirische Evidenz wird dem Maße wachsen, indem mehr Menschen in ihrem Alltags- und Wirtschaftsleben Achtsamkeit kultivieren und heilsame Alternativen zum Status Quo erfahrbar machen.

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Einführung: Der unbefriedigende wirtschaftliche Status Quo 

Das Vertrauen in das vorherrschende Wirtschaftssystem bekommt immer mehr Risse. Immer weniger Menschen glauben an das Versprechen von Ökonomen, Unternehmenslenkern und Politikern, dass uns wirtschaftliches Wachstum, florierende Unternehmen und steigende Aktienkurse ein „gutes Leben“ sichern. Die Vertrauensrisse gehen inzwischen durch die gesamte Gesellschaft.

Unser Leben ist von wirtschaftlichen Prozessen durchdrungen. Wir arbeiten. Wir kaufen Produkte. Wir leihen uns Geld oder investieren es. Durch unsere Arbeit, unseren Konsum und unseren Umgang mit Geld formen und stützen wir das, was wir Wirtschaft nennen. Wir sind diese Wirtschaft. Doch dient diese Wirtschaft unseren tiefsten Wünschen? Leistet unser aktuelles Wirtschaftssystem einen positiven Beitrag zu unserem Lebensglück? Als Menschen sehnen wir uns nach Gemeinschaft, Liebe Vertrauen und Verstehen. Unsere Arbeit, unser Konsum und unser Geld sollen und können uns auf diesem Wege dienen. Wirtschaft muss Sinn machen und schaffen. Das sollte unser Anspruch sein. 

Unsere aktuelle Wirtschaft enttäuscht viele von uns und nährt unseren Ärger. Wirtschafts- und Finanzkrisen schaffen eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit. In vielen Unternehmen nehmen Stress, Druck und Konkurrenzdenken zu. Sinn und Freude an der Arbeit geraten dagegen immer mehr ins Hintertreffen. Maßlosigkeit und Gier erschüttern das Vertrauen in die wirtschaftliche Elite. Wie konnte es dazu kommen? Was läuft falsch?

In Zeiten der Krise fühlen wir uns leicht als Opfer. Als Opfer von cleveren Investmentbankern, inkompetenten Politikern, unerbittlichen Marktgesetzen oder eines kühlen Managements, das Arbeitsplätze streicht oder verlagert und die eigenen Einkünfte optimiert. Es scheint, dass das, was in der Wirtschaft geschieht, weit, weit entfernt ist. Dass wir stumme Beobachter eines mächtigen Systems sind, das uns dann aber in Form von Preisen, Löhnen, Verbindlichkeiten, Steuern, Stellenanforderungen oder Sachzwängen einholt, prägt und bindet.  Diese Beobachterperspektive ist unangemessen und gefährlich.  

Wir sind die Wirtschaft 

Denn Wirtschaft geschieht uns nicht! Wirtschaft ist kein autarkes System, das außerhalb unser selbst steht. Wir sind es, die täglich kaufen und verkaufen, sparen und Schulden machen, arbeiten oder nicht arbeiten. Wir sind es, die spezifische Bedürfnisse entwickeln und befriedigen, die Sinnvolles herstellen oder Schädliches. Wir sind es, die unzufrieden oder zufrieden durchs Leben gehen. Wir sind es, die maßvoll oder maßlos konsumieren, bewusst oder unbewusst kaufen, Sinnvolles oder Sinnloses unterstützen – sei es monetär oder durch unsere eigene Arbeitskraft.

Wir wählen jeden Tag aufs Neue, auch wenn die aktuellen Wirtschaftsstrukturen eine Menge strukturelle und faktische Macht besitzen. Wir sind in vielem freier, als wir denken. Das ist wunderbar und anspruchsvoll zugleich. Wirtschaft ist kein unumstößliches Naturgesetz, sondern Ausdruck unseres aktuellen individuellen und kollektiven Geistes. Jeden Tag können wir dieser Wirtschaft eine sinnvollere Richtung geben. Indem wir bewusster kaufen und konsumieren, bewusster investieren und Verbindlichkeiten eingehen und bewusster arbeiten schaffen wir im Kleinen eine Wirtschaft, die sich vom aktuellen Wirtschaftssystem deutlich unterscheiden kann.

Millionen und Milliarden dieser kleinen, mittleren und größeren wirtschaftlichen Tätigkeiten flechten Tag für Tag eine neue Wirtschaft und bilden somit Potenziale für positive Veränderungen.

Die Menschheit hat in jeder ihrer Entwicklungsphasen ein anderes wirtschaftliches Verhalten gezeigt. Ändern sich unsere Geisteshaltungen, ändert sich unsere Wirtschaft. Wagen wir einen frischen, praktischen und tiefen Blick auf wirtschaftliche Kernthemen! Welchen Theorien, Begriffen und Strukturen vertrauen wir uns an? Welche Wirtschaft wollen wir wirklich?

Wachstum, Wettbewerb & Co.: Die falschen Freunde 

In unserem Streben nach Glück haben wir uns als Einzelne und als Gesellschaft einigen zentralen wirtschaftlichen Ideen anvertraut: Wachstum, Wettbewerb, Effizienz, Rendite, Konkurrenz, Leistung und andere Konzepte haben sich tief in unserem Geist verankert und werden als von vielen als alternativlose Begleiter des Wirtschaftens angesehen. Wir spüren die Auswirkungen dieser Ideen in unseren Schulen, Kulturbetrieben, in der Politik und an unserem Arbeitsplatz. Und wir beurteilen uns selbst mit diesen Maßstäben. Machen uns diese Ideen und Maßstäbe glücklicher? Oder haben sie nicht vielmehr die Trennung, das Gegeneinander, Misstrauen, Abhängigkeit und Angst in unserem Leben verstärkt?

Es sind nicht nur spezielle Wertpapiere, die sich als toxisch erwiesen haben. Schauen wir genau hin, sehen wir, dass eine ganze Reihe ökonomischer Konzepte toxischer Natur sind.

Nehmen wir das Dogma des Wachstums. Was wächst denn da? Stellen wir uns folgende Frage: Was haben die Märkte für (1) Antidepressiva, (2) Gefängnisse, (3) Luxusjachten, (4) private Sicherheitsdienste, (5) Schönheitschirurgie und (6) Internet-Werbung gemeinsam? Sie wachsen weltweit. Können wir uns über dieses Wachstum freuen? Ich meine nein. Wenn diese Märkte wachsen ist das ein Zeichen dafür, dass (1) Depression, (2) Exklusion und Gewalt, (3) Maßlosigkeit und Gier, (4) Angst und Unsicherheit , (5) Selbsthass und Minderwertigkeit sowie (6) Manipulationswille und das Einpflanzen von Unzufriedenheit zunehmen. Das Wachstum vieler Märkte und der steigende Konsum vieler Produkte sind kein Grund zur Freude, sondern vielmehr ein Symptom für das Anwachsen geistigen Leidens. Dies ist nur ein Aspekt von Wachstum, der zu wenig beachtet wird, wenn wieder einmal mehr „Wachstum“ als Lösung ökonomischer  Probleme ins Feld geführt wird.

Oder nehmen wir die Lobpreisung des Wettbewerbs. Konkurrenz und Wettbewerb werden als Kardinaltugenden der Marktwirtschaft angesehen. Doch Wettbewerb schafft gleichzeitig auf allen Ebenen unserer Gesellschaft Druck, Trennung und Spannung. Wettbewerb betont das Gegeneinander und nicht das Miteinander. Schauen wir tiefer, sehen wir, dass viele Probleme unserer modernen Gesellschaften wie Stress, Burn-out, Depression oder Ruhelosigkeit von der Idee des Wettbewerbs angetrieben werden. Es ist nie genug. Wir sind nie sicher.

Es ist an der Zeit, sämtliche wirtschaftlichen Glücksversprechen auf Herz und Nieren zu prüfen. Welchen Nutzen schaffen wir wirklich? Unsere Wirtschaft hat sich in vielen Bereichen von unseren wahren Bedürfnissen entkoppelt. Sie hat uns nicht glücklicher, zufriedener oder mitfühlender gemacht, sondern hat unser Leiden vertieft, unsere Unzufriedenheit genährt und unsere Gemeinschaften geschwächt[6]. Wir haben begrenzten wirtschaftlichen Ideen und Vorstellungen in den letzten Jahrzehnten zu viel Macht über unser Leben gegeben. Wir sollten das Monster zähmen. Und bevor wir dies tun können, müssen wir unseren eigenen Geist klären. Der Schlüssel hierzu ist Achtsamkeitstraining.

Der Schlüssel: Achtsamkeit kultivieren

Achtsamkeit wird im Buddhismus als „royal state of mind“ gesehen. Achtsamkeit ist die Fähigkeit, vorurteilsfrei und klar zu erkennen, was im gegenwärtigen Moment geschieht. Die Motivation und Folgen unserer Gedanken, Worte und Taten werden sichtbar. So werden wir uns der gegenseitigen Verwobenheit allen Lebens immer bewusster.

Achtsamkeit ist die Fähigkeit unseres Geistes, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind. Achtsamkeit ist kein Konzept, sondern ein Geisteszustand, den wir wie einen Muskel trainieren können. Bewährte Übungsmethoden sind u.a. Sitz-, Geh- und Essmeditation, kontinuierliches achtsames Atmen, bewusstes Innehalten, Phasen der Stille und Muße sowie die Kontemplation von Veränderung im gegenwärtigen Augenblick. In diesem Artikel können wir nicht tiefer auf diese Methoden eingehen[7]. Es ist aber wichtig zu wissen, dass diese ausnahmslos ohne „religiösen Überbau“ erfolgreich praktiziert werden können.

Durch erhöhte Achtsamkeit können wir geistige Prozesse erhellen. Wir sehen, was wir uns vom Kauf eines Autos erwarten, welche Gefühle der Blick auf unser Girokonto auslöst und wie der Vergleich mit unseren Kollegen unseren Körper anspannt. Wir erforschen die tieferen Motivationen unserer Handlungen, legen das Wesentliche frei, dekonditionieren uns und erhalten so neue Freiräume. Wir betrachten unsere emotionalen Erwartungen beim Produktkauf, spüren unsere Unruhe beim Studieren der Aktienkurse und erkennen, wie wir durch Stress, ständiges Planen und Spekulieren die Schönheit des aktuellen Augenblicks verpassen. Wir sehen, dass die Wurzeln von Glück, Freude oder Zufriedenheit geistiger Natur sind[8].

Effekte von lebendiger Achtsamkeit auf wirtschaftliches Handeln und Denken

Achtsames Wirtschaften ist Wirtschaften im Zustand der Achtsamkeit. Achtsamkeit bringt uns mit der lebendigen Wirklichkeit unseres Wirtschaftslebens in Kontakt, sei es beim Business Lunch, beim Ausfüllen der Steuererklärung, beim Blick in die Wirtschaftspresse oder beim Kauf eines neuen Smartphones.

Dieser frische Blick kann uns tiefe Einsichten schenken und unser wirtschaftliches Denken und Handeln transformieren. Wir sehen, dass es unser (individueller und kollektiver) Geist ist, der diese Wirtschaft erschafft und dass es auch anders geht. Hier einige Erfahrungen, Einsichten und Veränderungen, welche die Achtsamkeitsschulung in das Leben und Arbeiten von Mitgliedern des Netzwerkes Achtsame Wirtschaft gebracht hat:

Freude absichtslosen Gebens – Klarheit über Arbeitsgewohnheiten durch Arbeitsmeditation – Dankbarkeit für das Vorhandene – De-Identifikation mit materiellen und geistigen Besitztümern – Freude am einfachen Leben – Kultivierung einer entspannten Grund- und Arbeitshaltung – Transparenz über heilsame und unheilsame Produkte – Stärkung persönlicher Impulsdistanz im Konsumprozess – Vorteile nicht ausnutzen - Betonung von Inklusivität statt Exklusivität – Aufgabe der Idee des „Mittel-heiligenden-Zweckes“ – Stärkung der Genussfähigkeit – Halten des rechten Maßes – bewusste und freudige Selbstbeschränkung – Wahl einer ethischen Grundausrichtung und Einübung derselben – Erkennen wahrer Bedürfnisse – Schrittorientierung statt Leben in der Zukunft – Zähmung der eigenen Begierden.

Diese Erkenntnisse verändern unser wirtschaftliches Denken an der Wurzel. Sie verändern unsere Arbeit, unseren Konsum und unseren Umgang mit Geld und Finanzen. Dies ist die Erfahrung von Hunderten Achtsamkeitsübenden, die ich auf ihrem Weg erlebt und teilweise begleitet habe. Achtsamkeit ist kein Zaubertrank, sondern ein Übungsweg. Ein geistiger Schlüssel, der uns zu einem Ausblick auf eine inspirierendere, sinnvollere, heilsamere Wirtschaft verhilft. 

Die geistige Dimension des Wirtschaftens

In jedem Moment des Tages ist unser Geist in einem bestimmten Zustand. Mal sind wir ungeduldig und genervt. Mal freudig und entspannt. Die Summe dieser kleinen Momente bildet unsere Tage, Wochen, Monate, Jahre und schließlich unser Leben. Wollen wir unser Leben in eine positive Richtung entwickeln, brauchen wir Mittel, um uns von geistigen Problemzuständen zu lösen und heilsame Geisteszustände in uns zu stärken und zu verankern. Wir wissen in der Regel genau, welche Geisteszustände unser Leben bereichern und welche uns auf Dauer zerstören. Machen Sie einmal das folgende Bewertungsspiel: Welche der folgenden Geisteszustände sollen in Ihrem Leben (und in unser Wirtschaft) wachsen und welche lieber nicht?

Achtsamkeit – Ärger – Akzeptanz – Angst – Angespanntheit – Bescheidenheit – Dankbarkeit – Depression – Eifersucht – Freude – Furchtlosigkeit – Geduld – Gelassenheit – Glück – Gier – Innere Unruhe –  Konzentration – Neid – Misstrauen – Mitgefühl – Selbsthass – Selbstliebe – Stolz – Unkonzentriertheit – Ungeduld – Unzufriedenheit – Vertrauen – Weisheit – Zufriedenheit – Zweifelsucht

Jeder dieser Geisteszustände hat Auswirkungen auf die Art und Weise wie wir arbeiten oder konsumieren und kann als Grundstimmung ganze Unternehmenskulturen prägen.

Präsentiere ich diese Geisteszustände in Seminaren[9], sind sich die Teilnehmer immer sehr einig, welche der hier aufgeführten Geisteszustände in ihrem Leben wachsen sollen und welche nicht. Sie wollen nicht von Ärger, Unzufriedenheit und Gier beherrscht werden. Sie wünschen sich mehr Vertrauen, Gelassenheit und Vertrauen. Unklar ist ihnen eher, wie sie die heilsamen Geisteszustände stärken und die unheilsamen schwächen können. Und dies in einem Umfeld, das Unzufriedenheit, Konkurrenz und ein „Es-ist-nie-genug“ Tag für Tag nähren. 

Sprechen wir über achtsames Wirtschaften, sprechen wir von einer Wirtschaft, welche unseren Geist schützt und nicht ausbeutet. Leider ist heute in vielen Bereichen der Wirtschaft das Gegenteil der Fall. Das offensichtlichste Beispiel hierfür ist die omnipräsente Werbung, die bewusst unsere Geisteszustände und Ideen beeinflussen will, nicht zu unserem Wohl. In einer Atmosphäre der Angst werden mehr Versicherungen und Waffen verkauft. Wer verwirrt ist, verlässt sich mehr auf das Urteil anderer als das eigene. Wer zufrieden ist, wird sich weniger in den Konsum stürzen. Und wer sich an den kleinen Dingen freuen kann, der wird nicht meinen, dass ihn der große Karrieresprung das Glück sichern wird. 

Unser wirtschaftliches Denken und Handeln sollte die geistige Dimension integrieren und uns helfen, auf einer tiefen, geistigen Ebene Zufriedenheit, Freude und Glück zu kultivieren[10]. Hier hat unser aktuelles Wirtschaftssystem schlicht versagt. Trotz jahrzehntelangem Wachstum sind wir nicht zufriedener, freudvoller oder glücklicher geworden. Das zeigen wissenschaftliche Befragungen, die Untersuchungen von Glückforschern und unsere eigenen Erfahrungen.

Die wertvollsten Dinge in unserem Leben, die Dinge, nach denen unser Innerstes am lautesten ruft, sind geistiger Natur, sind unbegrenzt vorhanden und kostenlos. Das ist eine revolutionäre Aussage. Das Wertvollste in unserem Leben ist unbegrenzt vorhanden und hat auf Märkten keinen Preis. Wir sollten eine Wirtschaft schaffen, welche diesen Schatz hütet und ihn nicht durch das Säen von Unzufriedenheit und Verlangen verschleudert.

Beispielhafte Aussagen einer achtsamkeitsbasierten Wirtschaftsethik

Wirtschaftsethik kann sehr abstrakt und theoretisch werden. Es ist wichtig, inspirierende Leitlinien zu formulieren und zu teilen, die uns im wirtschaftlichen Alltag Orientierung geben. Eine Wirtschaftsethik, die sich auf juristische oder materielle Dimensionen beschränkt, ist unvollständig. Eine Wirtschaftsethik, die auf persönliche Einsicht durch Achtsamkeit setzt, ist in hohem Maße nachhaltig. Hier kommen einige wirtschaftsethische Aussagen, die im Netzwerk Achtsame Wirtschaft formuliert wurden.

„Wahres Glück zu mehren, Sinnvolles zu produzieren  und die Befreiung von Leid sollten übergeordnete Ziele jeder ökonomischen Aktivität sein."

„Wir sind uns bewusst, dass der Mensch ist nicht von Natur aus egoistisch, gierig und materialistisch ist, sondern ein soziales Wesen, das nach Verbundenheit, Verstehen und Frieden strebt. Als Menschen sind wir keine ökonomischen Nutzenmaximierer. Wir suchen vielmehr nach Sinn, Glück und Zufriedenheit. Ökonomisches Handeln sollte auf allen Ebenen dazu beitragen, Sinn, Glück und Zufriedenheit zu schaffen oder zu ermöglichen.“

„Gier, Ungeduld, Unzufriedenheit und Aggressivität sind keine Tugenden, sondern Geistesgifte. Wir sollten sie erkennen, benennen und transformieren und nicht als Antreiber-Tugenden tolerieren, idealisieren oder salonfähig machen.“

„Es ist unklug, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die wir nicht haben oder nicht besitzen. Sie fehlen uns nur scheinbar zum Glück. Wertschätzung und Dankbarkeit für das, was unser Leben bereits unterstützt, ist der Schlüssel zum Glück. Wir haben bereits mehr als genügend Bedingungen, um glücklich zu sein.“

„Investitionen in Unternehmen oder Finanztitel sollten nicht aus reinen Renditeüberlegungen getätigt werden. Es gilt vielmehr sinnvolle Projekte zu unterstützen. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten oder die Umwelt schlecht behandeln oder schädigen, sollte Energie entzogen werden. Hierzu können wir in unseren Rollen als Investor, Konsument oder Arbeitnehmer beitragen.“

„Ein Lebenserwerb, welcher der Natur oder anderen Menschen schadet, bringt uns selbst Unglück. Es ist weise, unsere aktuelle Arbeitssituation klar zu beurteilen, nicht schönzureden oder als alternativlos zu bezeichnen. Es gilt bestehende Freiräume zu nutzen, um durch unsere Schaffenskraft, Positives und Sinnvolles in die Welt zu bringen.“

„Es ist leicht und schädlich, in Momenten oder Phasen der Einsamkeit, Angst oder des Stresses, Zuflucht zum Konsum zu nehmen. Konsum macht viele Versprechen, die er nicht halten kann. Es ist für uns alle besser, sich den wahren Gründen unserer individuellen und kollektiven Probleme zuzuwenden, statt uns im Konsum zu verlieren." 

„Als Menschen brauchen wir ein rechtes Maß. Unser Wollen sollten wir nicht von äußeren Normalitäten oder Vergleichen ableiten, sondern aus der Erforschung unserer wahren Bedürfnisse. Das rechte Maß erreichen wir nicht durch Vergleich mit anderen. Wissend, dass unser Geist zur Maßlosigkeit neigt, ständig nach neuen Dingen sucht und nach ihnen greift, sehen wir den Nutzen der Selbstbegrenzung und die Freiheiten, die diese mit sich bringt.“

„Wahres Glück wurzelt in Frieden, innerer Stabilität, Freiheit und Mitgefühl, nicht aber in Reichtum, Ruhm oder sinnlichem Vergnügen.“ 

Konsequenzen für zentrale wirtschaftliche „Normalitäten“

In der folgenden Tabelle finden sich die Auswirkungen achtsamen Wirtschaftens auf zentrale Denk- und Handlungsmaximen des Wirtschaftens.

Den Zielen „normaler“ Ökonomie werden hierbei Übungs- und Einsichtsziele Achtsamen Wirtschaftens gegenübergestellt. Mit „normal“ ist hierbei der ökonomische Mainstream gemeint, so wie er heute im Kollektiven vorherrscht. sei es auf der Ebene des einzelnen Haushalts und Konsumenten, im Arbeitsleben oder in der Unternehmensführung und Wirtschaftspolitik. Diese Tabelle soll kein neues schwarz/weiß-Denken befördern, sondern zum Ausprobieren, Nachdenken und Nachempfinden einladen.

Unser Geist verändert sich nicht über Nacht und es ist hilfreich, nicht zu streng mit uns zu sein. Wir sollten uns nicht überfordern oder neue moralische Dogmen schaffen. Humor und ein mitfühlendes Lächeln – für uns selbst und andere - sind hilfreiche Begleiter auf diesem Einsichtsweg.

 

Dimension

Ziele „normaler“ Ökonomie

Übungsziele Achtsamer Wirtschaft

Übergeordnetes Ziel

Steigerung des Wohlstands durch materielles Wachstum

Abdeckung materieller Grundbedürfnisse, Steigerung des Wohlstands durch geistiges Wachstum

Makro-Maßstab

Bruttosozialprodukt

Bruttoglücksprodukt

Erfolgsmaßstab

Gewinn, Rendite, Umsatz

Sinnvolle Aktivität, Verminderung von Leiden

Vermuteter Weg zum Glück

Mehr Macht, Reichtum, Ruhm, Sinnesfreuden

Mehr Mitgefühl, Verstehen, Achtsamkeit

Perspektive auf Glück

Glück ist individuell –Individualismus – Trennung, Individualwohl

Individuelles Glück und kollektives sind untrennbar verbunden – Inter-Sein

Prägende Geisteszustände

Unzufriedenheit, Ungeduld, Aggressivität, Gier/Verlangen, Eifersucht

Zufriedenheit, Gelassenheit, Gewaltfreiheit, Großzügigkeit, Mitfreude

Triebfeder

Verlangen – „Es ist nie genug.“ – Druck

Mitgefühl und Verstehen

Menschenbild

Homo oeconomicus

Mitfühlender, weiser Mensch

Dominante Prozesse

Haben – Nehmen – Akkumulieren - Kontrollieren

Teilen – Geben – Fließen lassen – Befreien

Verhältnis Geld und Arbeit

Arbeiten um Geld zu verdienen

Geld verdienen um an sinnvollen Dingen arbeiten zu können

Umgang mit Talent

Vorteile und Cleverness (aus)nutzen, Talent vor Tugend

Vorteile und Cleverness aufgeben: Tugend vor Talent

Zurechnung

Kreation („ICH habe es gemacht.“)

Manifestation („Etwas erscheint, wenn vielfältige Bedingungen reif sind.“)

Prototyp

Börsennotierte Kapitalgesellschaft

Gemeinschaft („Small is beautiful“)

Wachstumspfad

Hebeln, beschleunigen, fremdfinanzieren, „kaltes Geld“

Organisch, aus eigener Kraft, eigenfinanziert, „warmes Geld“

Maß/Grenzen

Unbegrenzte, unstillbare Bedürfnisse („Es ist nie genug“)

Rechtes Maß, wahre Bedürfnisse sind befriedigt

Geistiges Ideal

Rationales Kalkül

Weisheit und Achtsamkeit

Beziehungsform

Konkurrenz - Gegeneinander

Brüderlichkeit – Miteinander

Motivation

extrinsisch – Incentives, Boni, Prämien

intrinsisch – Mitgefühl, Verstehen

Fokus

Finanzwirtschaft

Realwirtschaft

Ethische

Leitplanken

Wirtschaftsrecht

Achtsamkeitsbasierte Übungs- und Einsichtsethik

Instrumentalisierung des Geistes

Den Geist anderer zum eigenen Vorteil prägen und nutzen (z.B. Werbung)

Den Geist schützen und heilsam entwickeln

Einsichtsprozess

Analyse - dual

Kontemplation/Meditation – non-dual

Verhältnis zu Zielen

Zielorientierung (Was?)

Prozessorientierung (Wie?)

Geistige Qualitäten

Wertend, berechnend, urteilend, analytisch, dual, ich-zentriert

Mitfühlend, verstehend, nicht-diskriminierend, non-dual, wir-orientiert

Verhältnis zum Umfeld

„Exklusivität“

„Inklusivität“

Ideal

„Das Besondere“, „Luxus“

Einfaches Leben

Auslöser von Aktivitäten

„opportunity“, Marktchancen, Umsatzchancen

Sinnvolle Geschäftsideen, reale Bedürfnisse, Potential Glück zu fördern, Leiden zu lindern

Zeitliche Orientierung

Zukunft, Erwartungen, Discounted Cashflow, Pläne, Strategien

Gegenwart, Hier und Jetzt, „Wer sich gut um die Gegenwart kümmert, kümmert sich gut um die Zukunft.“

Außenkontakt

Schein – Oberfläche - Image

Sein – Tiefe - Substanz

Führung durch...

Management, Position, Know-How, Eigentumsrechte

Inspiration, Lehre, Vorbild, Verkörperung von Weisheit, geteilte Einsichts- und Übungsethik

 

Fazit

Geübte und verkörperte Achtsamkeit schenkt uns einen natürlichen Kompass, der uns zeigt, auf welchen Wegen wir eine sinnvollere, nachhaltigere, dem Leben dienende Wirtschaft schaffen können. Veränderungen finden hierbei nicht von heute auf morgen statt, sondern durch geduldige Übung und schrittweise Einsicht. Zunächst verändern wir die Wirtschaft im Kleinen. Durch unsere veränderte Arbeitsweise, unseren achtsamen Konsum und unseren bewussten Umgang mit Geld senden wir kleine Wirkungswellen in unser Wirtschaftssystem. Diese kleinen Wellen addieren sich und können eine Bewegung schaffen, die unsere Art über Wirtschaft zu denken und wirtschaftlich zu handeln revolutionieren kann.

Alle Wirtschaftsakteure – sei es an Wirtschaftsuniversitäten, in Unternehmen, in Wirtschaftsredaktionen, der Wirtschaftspolitik und jeder in seinem eigenen kleinen Haushalt – sind zum achtsamen Wirtschaften eingeladen. Indem wir Achtsamkeit kultivieren, entdecken wir heilsame Alternativen zum „Normalen“ und scheinbar alternativlosen in unserer Wirtschaft. Je mehr Wachheit auf allen Ebenen, umso mehr werden sich auch strukturelle Rahmenbedingungen ändern. Die Samen sind gesät. Wir sind die Wirtschaft. Und jeder Euro ist eine Abstimmung.

 

Literatur

 

Allan Hunt Badiner (Hrsg.) (2003): Mindfulness in the Marketplace, Parallax.

Karl-Heinz Brodbeck (2011): Buddhistische Wirtschaftethik, edition steinrich.

Bruno Frey und Alois Stutzer (2002): Happiness and Economics, Princeton University Press.

Bernhard Glassman (2010): Anweisungen für den Koch – Lebensentwurf eines Zen-Meisters, edition steinrich, 2010.

Mahathera Henepola Gunaratana (2000): Die Praxis der Achtsamkeit: Eine Einführung in die Vipassana-Meditation, Kristkeitz, 2000.

Thich Nhat Hanh (2007): Ich pflanze ein Lächeln, Goldmann.

Thich Nhat Hanh (2008): The art of power - die Kunst mit Macht richtig umzugehen, Herder Verlag. Herder.

Thich Nhat Hanh (2009 I): Das Wunder der Achtsamkeit, Theseus.

Thich Nhat Hanh (2009 II): Körper und Geist in Harmonie – Die Heilkraft buddhistischer Psychologie, Kösel.

Stephanie Kaza (Hrsg.) (2005): Hooked – Buddhist Writings on Greed, Desire, and the Urge to Consume, Shambhala.

Kulananda und Dominic Houlder (2002): Mindfulness and Money – The Buddhist Path of Abundance, Broadway Books.

Dalai Lama (2008): Führen, Gestalten Bewegen, Campus.

Richard Layard (2005): Happiness – Lessons from a New Science, Penguin.

Matthieu Ricard (2007): Glück, Nymphenburger.

Kai Romhardt (2001): Wissen ist machbar, Econ.

Kai Romhardt (2004): Slow Down your Life, Econ.

Kai Romhardt (2009): Wir sind die Wirtschaft: Achtsam Leben – Sinnvoll Handeln, J. Kamphausen.

Larry Rosenberg (2002): Mit jedem Atemzug – Buddhas Weg zu Achtsamkeit und Einsicht, Arbor.

Eckhart Tolle (2000): Jetzt! Die Kraft der Gegenwart, J.Kamphausen.

Claude Whitmyer (Hrsg.) (1996): Arbeit als Weg – Buddhistische Reflexionen, Fischer.

 

 

 



[1] Zur Einführung in eine buddhistische inpirierte Ökonomie vgl.: Badiner (2003), Brodbeck (2011), Glassman (2010), Thich Nhat Hanh (2008), Kaza (2005), Dalai Lama (2008), Kulananda/Houlder (2002), Whitmyer (1996)

[2] Vgl. Romhardt (2001, 2004, 2009)

[3] Mehr Infos unter: www.achtsame-wirtschaft.de

[4] Zur Einführung empfohlen: Thich Nhat Hanh (2007, 2009 I), Gunaratana (2000), Tolle (2000). Vertiefend Rosenberg (2002).

[5] Beispiele hierfür sind Google. Apple, Starbucks, Carlsberg, KPMG, Worldbank und viele andere.

[6] Zur Entwicklung des kollektiven Wohlempfindens und Glücks vgl: Layard (2005) und Frey/Stutzer (2002)

[7] Zur Einführung empfohlen: Thich Nhat Hanh (2007, 2009 I), Gunaratana (2000).

[8] Vgl. Ricard (2007).

[9] Dies ist die Erfahrung aus über 100 Seminaren an Wirtschaftsuniversitäten, in Forschungseinrichtungen, in NGO’s oder anderen Organisationen.

[10] Vgl. Thich Nhat Hanh (2009 II)


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